ICH SING FÜR DIE VERRÜCKTEN

Ich sing für die Verrückten, die seitlich Umgeknickten
Die eines Tags nach vorne fallen und unbemerkt von allen
An ihrem Tisch in Küchen sitzen und keiner Weltanschauung nützen
Die tagelang durch Städte streifen und die Geschichte nicht begreifen

Die sich vom Kirchturm stürzen, die Welt noch mit Gelächter würzen
Und für den Tod beizeiten, sich selbst die Glocken läuten
Die an den Imbißtheken hängen, sich weder vor- noch rückwärtsdrängen
Und still die Tagessuppe essen, dann alles wieder schnell vergessen

Die mit den Zügen sich beeilen, um nirgendwo zu lang zu weilen
Die jeden Abschied aus der Nähe kennen, weil sie das Leben Abschied nennen
Die auf den Schiffen sich verdingen und mit den Kindern Lieder singen
Die suchen und die niemals finden und nachts vom Erdboden verschwinden

Die Wärter stehen schon bereit mit Jacken, um werkgerecht die Irrenden zu packen
Die freundlich auf den Dächern springen - für diese Leute will ich singen

Die in den großen Wüsten sterben, den Schädel schon in tausend Scherben
Der Sand verwischt bald alle Spuren, das Nichts läuft schon auf vollen Touren
Die sich durchs rohe Dickicht schieben, vom Wahnsinn wund und krank gerieben
Die durch den Urwald aller Seelen blicken, den ganzen Schwindel auf dem Rücken

Ich sing für die Verrückten, die seitlich Umgeknickten
Die eines Tags nach vorne fallen und unbemerkt von allen
Sich aus der Schöpfung schleichen, weil Trost und Kraft nicht reichen
Und einfach die Geschichte überspringen - für diese Leute will ich singen


[Text: Hanns Dieter Hüsch]