Zum fünfzigjährigen Bühnenjubiläum
von Hanns Dieter Hüsch
Von Matthias Thiel (Stiftung Deutsches Kabarettarchiv)
Mozart der Kleinkunst, Brettl-Karl Kraus, Shakespeare unter den Kabarettisten? Nieder-
rheinischer Kafka, moderner Don Quichote, melancholischer Diogenes? Valentin aus Dins-
laken, Villon vom Kirchentag, Tacitus des Niederrheins? Einfacher: Hanns Dieter Hüsch.
1998 seit fünfzig Jahren unterwegs, hat Hüsch mit seinen unverwechselbaren Chansons,
Gedichten und Geschichten, so der Titel des ersten Soloprogramms im Herbst 1948, Kaba-
rettgeschichte geschrieben.
Kabarett auf eigene Faust. So lautet der Titel des Buches über die 50 Bühnenjahre von
Hanns Dieter Hüsch, das Jürgen Kessler aus diesem Anlass herausgegeben hat. Mit zum
überwiegenden Teil erstmals veröffentlichten Texten Hüschs und mehr als 100 Abbildungen ausgestattet, zeichnet es im Rahmen einer Chronik den Verlauf des halben Jahrhunderts nach, zeigt den nicht immer einfachen Weg 'vom begabten Einzelgänger unter den Kabarettisten' der fünfziger Jahre zum 'Lordsiegelbewahrer der bundesrepublikanischen Kleinkunst' und 'Oberpräsidenten der Kabarettprovinz in der Republik des Geistes' der neunziger Jahre. Die in die Chronik montierten Beiträge von Freunden und Kollegen runden zusammen mit der gesammelten 'Journalistenpoesie' aus fünfzig Jahren (dieser sind die zu Anfang angeführten Beispiele entnommen) die Hommage an Hüsch ab. Wie nebenbei erschließt sich dabei auch der zweifache Sinn des gewählten Titels 'auf eigene Faust'. Gemeint ist damit nicht nur der Solokabarettist Hüsch, als der er im lange Zeit von Ensembles beherrschten Kabarett der Bundesrepublik eine Außenseiterrolle einnahm, sondern auch die für die Jahre nach 1945 einzigartige Qualität seiner Form des Kabaretts.
Ein literarischer Entertainer und fahrender Poet, hat Hüsch sich, ob im Ensemble seiner Mainzer 'arche nova' oder als Solokabarettist, der nach dem Zweiten Weltkrieg dominanten politisch-satirischen Ausrichtung entzogen und stattdessen an das literarische Kabarett vor 1933 angeknüpft. Dem 'poetisch Wahren' verpflichtet, überließ er die Darstellung des 'historisch Wahren' seinen politsatirischen Kollegen. Nicht in der Kommentierung politischer Ereignisse, sondern im Kampf um ein Menschenbild, das dem Menschen würdig ist, sieht und sah er die Aufgabe des Kabaretts. Er verkörpert die poetische Tradition im bundesdeutschen Kabarett, hierin liegt und lag sein Bedeutung. Als Leitfigur und Mentor unterschiedlichster Kabarettisten, von Franz Hohler bis Lars Reichow, Konstantin Wecker bis Erwin Grosche, hat er darüber hinaus das poetische Kabarett der Gegenwart entscheidend geprägt, dessen Entstehung gefördert. Aber erst die literarische Qualität seiner Dichtungen hat ihn zu dem Ausnahmekabarettisten gemacht, als der er heute allgemein anerkannt ist.
Poet der kritischen Phantasie, mit diesen Worten würdigte ihn 1977 der Mainzer Universitätspräsident Dr. Peter Schneider bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Johannes Gutenberg-Universität, und nicht zu Unrecht wird Hüsch als der einzige Lyriker unter Deutschlands Kabarettisten, der nicht Verse fürs Kabarett, sondern Kabarett für seine Verse mache, gerühmt. Viele seiner Dichtungen sind von einer beeindruckenden lyrischen Intensität, der Bilderreichtum und die Klangstruktur seiner Sprache von hoher Musikalität. In anderen Texten ist es sein Gespür für Phrasen und Floskeln, die Prägnanz, mit der er Denk- und Verhaltensweisen allein mittels der Sprache entlarvt, das von der ausgeprägten Sprachsensibilität eines großen Poeten zeugt. Der mit Worten wie mit Murmeln spielt, so hat Helmut Ruge den Poeten Hüsch und dessen primär lustvolles Spiel mit Sprache und Form umschrieben. Dabei ist die Vielfalt seiner formalen und rhetorischen Ausdrucksmöglichkeiten enorm, sie reicht von der spielerisch-blödelnden Parodie bis zum beschwörenden Appell. Die poetische Konzeption seines Kabaretts schließt dabei politische Texte keineswegs aus. Politisch fühlend und poetisch denkend, bezieht Hüsch immer dann 'schmerzhaft konkret', wie er selber sagt, Stellung, wenn es ihm aufgrund der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung notwendig erscheint. In vier großen Programmen - Carmina Urana in den fünfziger, Eine schöne Gesellschaft in den sechziger, Ein neues Programm in den achtziger und Ein neues Kapitel in den neunziger Jahren - hat er politische Themen (Kriegsgefahr, aufkommenden Faschismus, Umweltzerstörung, Überbevölkerung) in den Vordergrund gestellt. Seit Mitte der achtziger Jahre beendet er die meisten seiner Auftritte mit dem Sprechgesang Das Phänomen, einer eindringlichen Warnung vor den Gefahren des alltäglichen Faschismus. Wie dieser bleiben aber bis auf wenige Ausnahmen seine politischen Dichtungen eben dies: Dichtungen. Und das wiederum unterscheidet sie von den Texten der Politkabarettisten.
Das Leitmotiv von Hüschs Werken ist, im Vertrauen auf die versöhnende Kraft der Liebe, das 'Prinzip Hoffnung', der ungebrochene Glaube an den Traum vom besseren Menschen in einer besseren, weil menschlicheren Welt. Schwankend zwischen Trauer und Heiterkeit, Melancholie und Komik, thematisieren seine Programme sowohl die Verzweiflung an dieser, wie auch die Hoffnung auf diese Utopie. Und sie bewegt mich doch!, der Titel der letzten geschlossen- durchkomponierten Produktion Hüschs ist charakteristisch für diese Haltung: Kapitulation ja, aber Resignation nie. Optimismus ungern, aber Zuversicht immer. Inzwischen sind es, Ausdruck einer beispiellosen Kreativität und Produktivität, über 70 Programme, in denen Hüsch diese seine Sicht der Dinge und des Lebens präsentiert hat. Darunter einige, die - wenn es denn einen solchen gäbe - dem 'Kabarett-Kanon' zuzurechnen sind. Beispielsweise Enthauptungen von 1970, das Programm, in dem er in Reaktion auf die meist polemische Kritik an seiner vorgeblich unpolitischen Haltung Ende der sechziger Jahre seine entschiedene Absage an jede Ideologie formuliert und sich vorbehaltlos zur Poesie und den Außenseitern, den in Hüsch'schem Sinne 'Verrückten' bekennt. Oder Das schwarze Schaf vom Niederrhein, in dem sich die bis Mitte der siebziger Jahre entstandenen, die Landschaft und die Menschen seiner Kindheit beschreibenden Texte und Lieder zu einem satirisch-poetischen Porträt verbinden. Und die oben schon genannten Produktionen Eine schöne Gesellschaft, Ein neues Programm und Und sie bewegt mich doch!' Nicht zu vergessen die beiden Hagenbuch, der rätselhaftesten und faszinierendsten unter den von Hüsch kreierten Kunstfiguren, gewidmeten Programme Hagenbuch und die Musik und Der Fall Hagenbuch - wie überhaupt die seit Mitte der siebziger Jahre auch in anderen Programmen vorgetragenen 'Hagenbuch-Geschichten' zu den dichterischen Höhepunkten in Hüschs Werk zählen. Die Welt als Irrenhaus und trauriger Witz, dieses in den siebziger Jahren in Hüschs Texten und Programmen wiederholt auftauchende Motiv, erreicht hier, personifiziert in der Figur Hagenbuchs, noch mal eine Steigerung.
Aber welche Programme es im Einzelnen auch immer sind, denen man die besondere Qualität zugesteht, sicher ist, dass eine Reihe von Hüschs Kabarettproduktionen zum Besten gehören, was in der hundertjährigen deutschen Kabarettgeschichte zu sehen war.
Copyright © 1998 Matthias Thiel c/o Stiftung Deutsches Kabarettarchiv, Rheinstrasse 48, 55116 Mainz
Ein halbes Jahrhundert
Jürgen Kesslers
GESAMMELTE
JOURNALISTENPOESIE
Hier finden sie das, was Hüschs
langjähriger Weggefährte, Fahrer
und Manager über ihn aus
unzähligen Presseartikeln
gesammelt hat.